Hans-Joachim Lang und das Narrativ der NS-Täter
Das Täternarrativ
Im Nürnberger Ärzteprozess wurde der Reichsgeschäftsführer des SS-Ahnenerbe 1947 angeklagt. Zwar war er kein Arzt, aber Manager zahlreicher Verbrechen – von Kunstraub bis zu Menschenversuchen in Konzentrationslagern. Einer der schwerwiegendsten Anklagepunkte gegen ihn war die Koordinierung des Verbrechens der Straßburger Schädelsammlung. Gegen berichtete der einzige Zeuge der Anklage, der Franzose Henri Henrypierre, was er vorher schon lange zuvor den Medien berichtet hatte:
Er sei nach dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Frankreich in einem Konzentrationslager inhaftiert worden. Später habe er als eine Art Zwangsarbeiter im Leichenkeller der Anatomie Straßburg von einem grausamen Verbrechen Kenntnis erhalten: Deren Direktor August Hirt habe 86 Menschen ermordet, um aus ihren Skeletten eine museale Sammlung aufzubauen.
Der angeklagte Sievers nutzte die Aussage: Nicht die SS, das Ahnenerbe und er selbst seien für das furchtbare Verbrechen verantwortlich, sondern die staatliche Universität Straßburg und ihr Anatomiedirektor Hirt, der ihm schon im Februar 1945 seinen nahen Suizid angekündigt hatte.
Der Arzt Alexander Mitscherlich und der Student Fred Mielke beobachteten den Prozess für die Bundesärztekammer. Kurz nach dem Prozess erschien ihr Buch „Diktat der Menschenverachtung: Der Nürnberger Ärzteprozeß und seine Quellen“, später das bis heute aufgelegte „Medizin ohne Menschlichkeit“. Wenn Angeklagter und Zeuge der Anklage Gleiches aussagen, sind Beobachter wohl immer geneigt anzunehmen, dass es sich um Tatsachen handelte. Die beiden Beobachter konnten nur wissen, was im Prozess zur Sprache kam. Weder führten Sie eigene Ermittlungen durch, noch sichteten sie weitere Quellen.
Doch Henrypierre war nicht der Résistance-Held, als den ihn heute noch viele sehen. Er war auch nicht in dem von ihm beschriebenen Konzentrationslager. Vielmehr bekannte er sich zum Deutschtum des NS-Staates, beantragte deutsche Staatsbürgerschaft, bewarb sich freiwillig an der Universität Straßburg und wurde bis 1945 von der SS bezahlt. Das war nicht optimal für einen Franzosen nach der deutschen Niederlage. Henrypierre erfand ein Verbrechen, das monströs genug war, von seiner Rolle und seinem – minder schweren – Tatbeitrag dabei abzulenken.
Bis heute sind die im Buch thematisierten offenen Fragen zur „Straßburger Schädelsammlung“ unbeantwortet. Sie legen nahe, dass es einen solchen Plan Hirts nicht gegeben haben kann. …mehr
Durch die Ereignisse im Ärzteprozess wurde die Rolle des Anthropologen Bruno Beger bei dem Verbrechen verschwiegen. Ebenso seine musealen Pläne und seine Obsession, Menschen zu enthaupten und ihre Schädel wissenschaftlich auszuwerten. Die Quellen zu Begers Rolle bilden einen Schwerpunkt des Buches.
Der Germanist Hans-Joachim Lang hatte im Jahre 2004 das Buch „Die Namen der Nummern“ veröffentlicht. Darin holt er 86 Opfer von Bruno Beger, August Hirt und Wolfram Sievers aus der Anonymität. Die Zahl von sechs Millionen ermordeten Juden ist so gewaltig, dass sie nur schwer fühlbar ist. Das Einzelschicksal hingegen ist fühlbar und das macht – wie auch schon in der ersten Auflage mehrfach und ausführlich gewürdigt – den menschlichen Ansatz des Buches von Lang aus, der jeden Respekt verdient. Jedoch schilderte Lang auch die Geschichte des Verbrechens selbst. Dabei wiederholte er jedoch jene Version, die Henrypierre und Sievers vor dem Nürnberger Gericht erzählten. Da diese Geschichte in weiten Teilen nicht den Tatsachen entsprach, konnte Lang naturgemäß viele Passagen nicht belegen. Lang beschreibt Hirt in drastischen Bildern als fanatischen Rassisten, der „ein Museum mit toten Juden als Exponaten“ für seine Anatomie angestrebt habe.
Ohne Zweifel hat Hirt tatsächlich schlimme Verbrechen begangen. Diese sind im Buch auch ausführlich dargestellt worden. Problematisch ist es aber, ihm Untaten anzudichten, die frei erfunden sind. Dies ist nicht nur respektlos gegenüber den Opfern und deren Anspruch auf historische Wahrheit. Dies ist zudem gefährlich in Zeiten, in denen die Anzahl der Apologeten und Relativierer des Nationalsozialismus in beängstigender Weise zunimmt. Wenn ein von renommierten Einrichtungen im guten Glauben an seriöse Quellenarbeit ausgezeichnetes Buch Erfindungen als historische Ereignisse vermittelt, ist das Wasser auf die Mühlen der Holocaust-Relativierer, aber auch jener, die die Verbrechen des „Tausendjährigen Reiches“ zum „Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ erklären.
Hans-Joachim Lang war jahrzehntelang Redakteur des Schwäbischen Tagblatts. Seine einfühlsamen Schilderungen des Schicksals der 86 Opfer haben sich in vielen Ländern gut verkauft, was für ein Sachbuch ein bemerkenswerter Erfolg ist. Allerdings ist „Die Namen der Nummern“ ein Sachbuch, eine wissenschaftliche Studie ist es nicht. Man muss deshalb von Lang keine Quellenkritik in wissenschaftlicher Tiefe erwarten. Was man von einem Sachbuchautor jedoch erwarten kann ist, sich mit neuen Erkenntnissen und Kritik professionell auseinanderzusetzen.
Stattdessen setzt Lang auf Polemik und Beschimpfungen. Schon kurz nach der Veröffentlichung des Buches polemisierte er auf seiner Homepage in einer Weise, die für sich selbst spricht – und den Autor. Vor seinen Text setzte er einen Text von Werner Renz, der in ähnlicher Form in der
Zeitschrift myops erschien. (Die ebenfalls in myops erschienene Replik ist unten zu finden.)
Die WELT sprach von „wüsten Kritiken“.
Im Februar 2019 veröffentlichte er einen bemerkenswerten Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dieser versucht, die Leser mittels manipuliert widergegebener Quellen zu täuschen. In der Neuen Zürcher Zeitung erschien kurz darauf eine Stellungnahme, in der Jüdischen Rundschau dann eine Replik. In beiden wird deutlich die Qualität von Langs Vorgehen sichtbar – und die Art, wie er sich mit neuen Quellen auseinandersetzt.
Damit der Leser sich selbst ein Urteil bilden kann, werden die Beiträge hier verlinkt.
Jüngst erschien auf der Grundlage zahlreicher bisher unberücksichtigter und unbekannter Quellen eine Monografie des Autors dieses Textes zum bekannten NS-Verbrechen der Strassburger Schädelsammlung. Nachdem der Journalist Hans-Joachim Lang nach dem Erscheinen des Buches auf seiner Website eine «wüste Kritik» verbreitet hatte, wie «Die Welt» schrieb, legte er nun im Februar in der «FAZ» nach.
Im Jahre 2004 hatte Lang das Buch «Die Namen der Nummern» veröffentlicht. Anhand von Häftlingsnummern holte er 86 im KZ Natzweiler ermordete jüdische Häftlinge aus der Anonymität und ermöglichte so ein Gedenken an diese. Diese Leistung verdient grosse
Anerkennung. Denn gerade die Nachfahren der Opfer verdienen Wahrheit.
Der Autor lieferte in seinem Buch auch eine Darstellung des Verbrechens selbst: Demnach hat der Direktor der Anatomie Strassburg, August Hirt, ein «Museum mit toten Juden als Exponaten
» geplant, wie es in einer Kapitelüberschrift heisst. So berichtete es der einzige Zeuge für dieses Museumsprojekt Hirts, ein gewisser Henrypierre, im Nürnberger Ärzteprozess.
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„Zuweilen schieben Historiker, indem sie sich auf ausgesuchte Quellen beschränken, zentrale Akteure aus der Geschichte.“ Dieser Satz trifft präzise das Wesen des von Hans-Joachim Lang am 20. Februar 2019 unter dem Titel „Eine Schädelstätte moderner Forschung“ in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) veröffentlichten Beitrags. Ohne seine Leser darauf hinzuweisen, schrieb der langjährige Wissenschaftsredakteur des „Schwäbischen Tagblatts“ hier keinen sachlich abwägenden Artikel, sondern eine Apologie in eigener Sache. Da er selbst aufgrund neu gefundener Dokumente im Verdacht der Quellenmanipulation steht, ist das durchaus bemerkenswert. Brisanz bekommt die Situation allerdings vor allem dadurch, dass Lang in seinem Artikel in der FAZ seine Leser erneut mittels falsch wiedergegebener Quellen zu täuschen versucht.
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„‚Es handelte sich um den Ausbau der Anatomie der damals neu übernommenen Universität Straßburg, und zwar um den Neuausbau des sogenannten Anatomischen Museums.‘ Nicht Neubau, sondern Neuausbau.“
Keine Neubewertung des Verbrechens, sondern ein Neuausbau des Narrativs von Kriegsverbrechern.
Von Hans-Joachim Lang.
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Werner Renz fiel in den letzten Jahren immer wieder dadurch auf,
dass er einer aus seiner Sicht drohenden »Hagiographierung« von
Fritz Bauer beherzt entgegentritt. Seine Vorwürfe an die Gegenwart sind gewichtig:
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