Bruno Beger

Der 1911 geborene Anthropologe Dr. Bruno Beger studierte Anthropologie und arbeitete seit 1934 nebenberuflich für den Rassereferenten des SS-Abschnitts Südwest, Erich Spaarmann. Nach dem Studium promovierte er bei Hans F. K. Günther („Rasse-Günther“) zu Rassefragen. In den Jahre 1938 bis 1939 begleitete er als Rasse-Experte die „Deutsche Tibet-Expedition Ernst Schäfer“, deren Schirmherr der „Reichsführer-SS“ Heinrich Himmler war.

Eine seit dem 17. Jahrhundert in Europa kursierende These lautete, dass der Ursprung der europäischen Menschen in Tibet liege. Von dort kommende Menschen seien in einer langen Wanderungsbewegung über den Kaukasus bis nach Nordeuropa gelangt und hätten sich von dort aus zum heutigen nordeuropäischen Menschen entwickelt. Von diesen Menschen seien dann einige zurückgewandert und stellten die Adelsschicht der Tibeter. Die Landbrücke zwischen Asien und Europa, der Kaukasus, ist bis heute namensgebend bei der Benennung der Europäer in der englischen Sprache als kaukasisch (caucasian).

Beger plante, diese These durch Fotografieren, Vermessen und Abformen von Tibetern – Volk und Adel – zu belegen. Jedoch verweigerten die meisten Tibeter seine rassekundlichen Forschungen, so dass er kaum verwertbares Material heimbrachte und seine These nicht belegen konnte. Die Auswertungsversuche des Materials erfolgte in seiner neuen Dienststelle „Innerasien und Expeditionen“ in der SS-Forschungseinrichtung „Ahnenerbe“.

Nach dieser Blamage bei Himmler ging Beger nach Kriegsausbruch auf eigenen Wunsch an die Front. Dort führte er zunächst anthropologische Untersuchungen an Norwegern durch – so dass er nach Tibet die Menschen des anderen Endes der vermuteten Wanderungsbewegung „rassekundlich“ erfasst hatte. An der Ostfront erfuhr der dann 1941 vom „Kommissarbefehl“. Dieser sah vor, dass die Kommissare der Roten Armee (faktisch auch Industrielle, Partei-Funktionäre, etc.) nach der Gefangennahme von der Wehrmacht ermordet werden sollten. Der Roten Armee der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) gehörten jedoch nicht nur „Russen“ an, sondern auch Angehörige all jener Ethnien, die auf dem von Beger vermuteten Wanderungsweg lagen: Turkmenen, Usbeken, Kasachen, Kirgisen, Kalmücken, Tadschiken (BArch R 135/52, Schreiben von Beger an Sievers vom 20.6.1944.)

Beger wandte sich daher im Sommer 1941 unmittelbar an Himmler mit einer Denkschrift. (HStA Wiesbaden Abt. 461, Nr. 34155 Prozessakte Beger, Anklageschrift vom 8.5.1965, S. 33.) Er plante, sich zu habilitieren und wählte als Thema für sein Forschungsvorhaben „Die Wanderungswege der Indogermanen auf Grund nordrassiger Restbestandteile“. Bis Kriegsende erhielt er ein Stipendium vom „Ahnenerbe“ für dieses Projekt. Ziel war es, die anthropologischen Merkmale der Menschen entlang des vermuteten Wanderungsweges von Tibet nach Nordeuropa zu erfassen. Hierzu bedurfte es der Vermessung und der Abformung des Kopfes der untersuchten Menschen, sodann deren Ermordung und die Skelettierung des Schädels. Am Positiv des abgeformten Kopfes und am Schädelskelett sollten dann bestimmte Merkmale erfasst werden, praktisch einmal mit Weichteilen, einmal ohne. (BArch R 135/44, Schreiben von Trojan an Beger vom 23.6.1944.) Um „geeignetes Material“ zu erhalten, regte Beger bei Himmler in der genannten Denkschrift an, die „Kommissare“ unter den Gefangenen dieser Ethnien nach der Ermordung enthaupten zu lassen und die Köpfe zur Präparierung nach Deutschland zu senden.

Nach der Rückkehr von der Front besprach er diesen Plan mit Wolfram Sievers, dem Reichsgeschäftsführer des „Ahnenerbe“. Dieser hatte kurz zuvor zufällig den Anatomen August Hirt kennengelernt und versuchte auch diesen in das „Ahnenerbe“ einzubinden. Sievers empfahl die Zusammenarbeit mit dem Rasse- und Siedlungshauptamt der SS, sowie mit der Anatomie Hirts. (BArch NS 21/127 Diensttagebuch Sievers, Eintrag vom 10.12.1941.)

Beger’s Plan der „rassischen Totalerforschung des Kaukasus“

Sievers sandte eine Abschrift der Denkschrift mit anderen Unterlagen am 09.02.1942 an Himmlers Persönlichen Referenten, Rudolf Brandt. (BArch NS 21/904, Schreiben von Sievers an Brandt vom 9.2.1942.) Es dürfte sich rasch herausgestellt haben, dass weder die Geheime Feldpolizei, noch die Ärzte der Wehrmacht willens waren, hingerichteten „Kommissaren“ die Köpfe abzuschneiden und in Dosen in die Heimat zu senden, wie von Beger ersonnen. Der Verlauf des Krieges bot Beger bald neue Möglichkeiten: Im Sommer 1942 eroberte die Wehrmacht den Elbrus und andere Gebirgszüge des Kaukasus. Die Landbrücke zwischen Asien und Europa mit all ihren Ethnien stand Beger nun offen – ein Projekt zur „rassischen Totalerforschung des Kaukasus“. Beger rüstete seine Abteilung „Mensch“ innerhalb dieses „Kommandos K“ bei der Expedition mit schweren Skalpellen und „Fleischmaschinen“ aus. Er schuf sogar eine eigene Stelle für einen Assistenten zur Betreuung der geplanten Sammlung. (BArch NS 135/44, S. 164288)

Nach der Niederlage in Stalingrad Anfang 1943 wurde der Plan verworfen. Kurz vor dem Scheitern seines Projektes erreichte ihn ein Hinweis von Adolf Eichmann: „Da jetzt in Auschwitz, wie mir SS-Obersturmbannführer Eichmann mitteilte, zur Zeit besonders geeignetes Material vorhanden ist, wäre der Zeitpunkt für diese Untersuchungen besonders günstig“. (HStA Wiesbaden Abt. 461, Nr. 34164 Prozessakte Beger, S. 12a und 12b.)

Jüdische Häftlinge gab es im 1940 eingerichteten Konzentrationslager Auschwitz stets in großer Zahl. Jedoch überstellte die Wehrmacht seit 1941 auch sowjetische Kriegsgefangene nach Auschwitz. Darunter durften auch Angehörige der von Beger so gesuchten Kaukasusrepubliken zu vermuten sein.

Als Beger im Juni 1943 in Auschwitz eintraf, war er nach Aussage verschiedenster Zeugen, tief verunsichert, als er im riesigen Lager nur vier Innerasiaten traf. Diese Enttäuschung fasste er auch in Briefe an Kollegen. Wie schon in Tibet konnte der geltungssüchtige Beger nach großen Thesen mangels „Material“ nicht liefern. Abermals drohte eine empfindliche Blamage bei Himmler. Ein Abbruch des Projektes wäre eine Option gewesen. Damit wäre auch Begers Forschungsprojekt erledigt gewesen – dabei war er einer der wenigen Anthropologen, die nicht an der Front standen, sondern er konnte friedlich seinen „Forschungen“ nachgehen. Eine Versetzung an die Front wäre ein realistisches Szenario gewesen. Andererseits war der nationalsozialistische Rassismus begierig auf jeden wissenschaftlichen „Beweis“ der angeblichen Minderwertigkeit der sogenannten „jüdischen Rasse“. Kurzerhand änderte Beger seinen Plan. Er wählte neben den vier innerasiatischen und zwei innerasiatisch aussehenden Häftlingen 109 jüdische Häftlinge aus, die ihm „interessant“ erschienen. Unter diesen Menschen waren jedoch weder „Kommissare“, noch sonstige Ethnien der UdSSR. Es waren Menschen aus allen Teilen Europas, von Griechenland bis Berlin, darunter 30 Frauen.

Die Stationen Natzweiler und Straßburg

Nachdem Beger die meisten Opfer vermessen hatte und bereits 26 Köpfe bearbeitet waren, reiste Beger wegen einer ausbrechenden Epidemie aus Auschwitz ab. Die verbleibenden 89 Häftlinge wurden in Quarantäne gehalten, wo drei Häftlinge starben. Die restlichen 86 Häftlinge wurden in das Konzentrationslager Natzweiler verbracht. Der Naturwissenschaftler Beger nahm dort Röntgen-und Blutgruppenuntersuchungen an den Häftlingen vor, bevor diese ermordet wurden. Ermordungsort war eine hastig ausgebaute, zuvor für die Phosgen-Versuche durch Otto Bickenbach improvisierte Gaskammer. (Schmaltz, Florian: Die Gaskammer im Konzentrationslager Natzweiler in: Morsch, Günter, Persch, Bertrand (Hrsg.): Neue Studien zu nationalsozialistischen Massentötungen durch Giftgas, Berlin 2011, S. 314). Nach den ersten Tötungen reiste Beger ab – es hatte sich herausgestellt, dass die Abformmasse nicht geliefert worden war. Die Leichen wurden nach einer Konservierung in der Anatomie der Universität Straßburg gelagert. Dort wurden sie jedoch nicht, wie alle anderen Leichen, in das Leichenbuch eingetragen, sondern blieben damit rechtlich betrachtet, „fremdes Eigentum“. Die Mitarbeiter der Anatomie haben sich daher auch bis zur Befreiung von Straßburg durch die Alliierten nicht weiter mit den Leichen befasst. Die gewählte Konservierungsmethode führte jedoch zur Bildung von Ameisensäure, so dass eine Präparierung der Schädelskelette schon nach wenigen Monaten unmöglich geworden war. Die Leichen wurden kurz vor dem Fall von Straßburg auf Himmlers Anordnung in großen Teilen vernichtet.

Beger hat sich nie wieder in Straßburg sehen lassen. Leichen, die nicht abformbar und Schädelskelette, die nicht mehr präparierbar waren, konnte er für sein Projekt nicht brauchen. Und diese Projekt trieb er nach der Abreise aus Natzweiler verzweifelt weiter voran: Bis Kriegsende waren seine Mitarbeiter und er damit befasst, asiatische Angehörige der Roten Armee in Kriegsgefangenenlagern der Wehrmacht abzuformen und zu vermessen. Auch in die deutschen Truppen integrierte Ethnien aus Gebieten der vermuteten „Wanderungsbewegungen“ waren Ziel seiner Forschungen buchstäblich bis zu seinem letzten Tag vor der Gefangennahme und Internierung.

Nach der Abreise in Auschwitz hatte Beger bei den Vorgesetzten bei der SS – wieder einmal – recht selbstbewusst ein eigenes Rasseforschungsinstitut gefordert. Eine Abteilung wollte er selbst führen. Deren Aufgabe: „3. ,Mongolen‘-forschung (begonnen im Juni 1943 im Kl-Auschwitz) Ziel: Vertiefung und Erweiterung unserer rassenkundlichen Kenntnisse von den inner- und ostasiatischen Völkern unter Ausnutzung des uns durch diesen Krieg in den Gefangenen aus Inner- und Ostasien in die Hand gegebenen Materials.“

Bruno Begers Berufsweg führte nach der Universität direkt ins Rasseamt innerhalb des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS. Von dort führte sein Weg über Tibet zur Forschungsstätte „Innerasien- und Expeditionen“ in der SS-Forschungseinrichtung „Ahnenerbe“. Seit der Promotion hat sich Beger wissenschaftlich mit nichts anderem befasst, als der These der Wanderungsbewegung und Vermessung von Menschen entlang dieser vermuteten Route, bevorzugt aus Vorder- und Innerasien.

Abgesehen vom spontanen Wechsel der Opfergruppe in Auschwitz (und einem obskuren „Gutachten“ für Himmler bezüglich einer steinzeitlichen Figur) zeigen die Quellen keine Befassung Begers mit Juden. Begers Obession bezog sich auf Asiaten.