Der 1898 geborene August Hirt wurde im Ersten Weltkrieg durch einen Kieferdurchschuss so schwer verletzt, dass er bis zu seinem Lebensende eine Invalidenrente bezog, grausig aussah und sich nur schwer artikulieren konnte. Nach dem Kriege studierte er Medizin, wurde promoviert und habilitierte sich in jungen Jahren. Mit seinem jüdischen Kollegen Philipp Ellinger entwickelte er ein Patent zur Beobachtung des Stoffwechsels in lebenden Zellen, der sogenannten Intravitalmikroskopie. Dieses Patent hielten beide Wissenschaftler gemeinsam bis zum Kriegsende, obwohl Ellinger schon kurz nach der Machtübernahme nach England flüchtete. Hirt bemerkte, dass einer der fluoreszierenden Stoffe mit denen er arbeitete, die Zellteilung hemmt. Er vermutete, einen Weg finden zu können, die tödliche Wirkung von Lost, dem auch als Gelbkreuz oder Senfgas bekannten Kampfstoff mindern zu können, der von Millionen von Kriegsteilnehmern gefürchtet wurde.
Schon 1935 wurde Professor Hirt kommissarischer Direktor der Anatomie in Heidelberg. Ab 1936 leitete der die Anatomie in Greifswald und ab 1938 in Frankfurt am Main. 1941 wurde Hirt auf den prestigeträchtigen Posten des Leiters der Anatomie in Straßburg berufen.
In seinen Forschungen befasste sich Hirt zeitlebens nur mit drei dem Grunde nach zusammenhängenden Forschungsfeldern: Dem sympathischen Nervensystem, der Intravitalmikroskopie und der Entwicklung eines Schutzes gegen Lost.
Obschon Hirt seit 1933 einfaches Mitglied der SS war und neun Jahre später immer noch im niedrigsten SS-Offiziersrang „Untersturmführer“ verblieben war, war er einer der wenigen, wenn nicht der einzige deutsche Anatomiedirektor in Deutschland, der das „Modethema“ der NS-Rassisten nicht beforschte: Hirt befasste sich nie mit Forschungen zu Juden – es finden sich bislang keine Quellen, die Hirt aus Autor von Schriftstücken zu diesem Thema belegen.
Hirts Kollege in Hamburg ließ sich zur medizinischen Ausbildung Leichen von Konzentrationshäftlingen liefern, wie Hirt auch. Jedoch führte er an diesen auch „Judenforschung“ durch. Hirts Kollege in Posen führte nicht nur „Judenforschung“ durch. Anatomiedirektor Hermann Voss verkaufte anatomische Präparate im Versandhandel – auch heute keine Seltenheit. Jedoch waren darunter auch furchtbare Produkte wie „Judenschädel“ – den Abguss des zuvor lebenden Opfers und das Schädelskelettprärat für 25 Reichsmark.
Wer also im Deutschen Reich eine Museum mit Skeletten toter Juden aufbauen wollte – wie das naturhistorische Museum in Wien – bestellte sich legal und offen die Exponate.
Die Lost-Versuche in Natzweiler
August Hirt war einer der grausamsten Medizinverbrecher des NS-Regimes. Um seine Therapieansätze in Bezug auf den Schutz vor Lost zu testen, wurden im Konzentrationslager Natzweiler 15 Häftlinge ausgewählt. Diesen verabreichte Hirts Assistent Karl Wimmer am 25.11.1942 Lost auf den Armen. Jedoch war das Mittel wirkungslos. Auch beim nächsten Versuch zeigte das vermeintliche Lostprodukt keinerlei Wirkung. Nachdem neuer Lost angefordert worden war, wurde Anfang Dezember 1942 der Versuch wiederholt. Zehn Häftlinge hatten Hirts Präparate erhalten, eine Kontrollgruppe von fünf Häftlingen war dem giftigen Kampfstoff schutzlos ausgeliefert. Drei Häftlinge starben: Karl Kirn, Wilhelm Müssgen und Friedrich Karl Tries. Die anderen Häftlinge litten große Qualen und wurden in den folgenden rund drei Monaten aus der Versuchsstation entlassen – in den mörderischen Lageralltag. Die Morde an den drei Häftlingen, sowie das Leiden der anderen 12 Opfer verantworten Karl Wimmer als Versuchsleiter und August Hirt als Verantwortlicher für diese Versuche.
Heinrich Himmler hatte befohlen, dass alles, was August Hirt für seine Vorhaben benötigen würde, bereitgestellt werden muss. Aufgrund dieses Befehls wurde auch Otto Bickenbach und Eugen Haagen das KZ Natzweiler für ihre grausamen Menschenversuche zur Verfügung gestellt. Aber auch die Vergasungen der 86 von Beger ausgewählten Opfer aus Auschwitz hätten nicht in Natzweiler stattfinden können, wenn Hirt nicht einverstanden gewesen wäre, seine Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Zu dieser gehörte auch die Anatomie in Natzweiler zur Aufbewahrung der Leichen.
Kurzum: Ohne die Duldung und in Teilen tätigen Mithilfe, hätte das Verbrechen nicht begangen werden können. August Hirt hätte im Rahmen eines Strafprozesses wohl dieselbe Strafe erwartet, wie Bruno Beger.
Diese Personen wurden im Rahmen der Lost-Versuche von August Hirt und Phillip Ellinger ermordet:
Willy Nowak
Häftlingsnr.: 0774
Häftlingskategorie: BV
Name: Willy Nowak
Geb.-Datum/-ort: 06.04.13 in Berlin
Lagerdaten:
Strafhaft in Walchum
14.1.42 eingeliefert nach KZ Natzweiler
20.11.42 in Block 5 (HKB)
10.2.43 Entlassung aus HKB
25.10.43 verstorben
Friedrich Karl Tries
Häftlingsnr.: 1346
Name: Friedrich Karl Tries
Geb.-Datum/-ort: 06.04.05 in K’lautern
Lagerdaten:
5.10.42 eingeliefert nach KZ Natzweiler
20.11.42 in Block 5 (HKB)
28.12.42 Tod nach Lost-Versuch wg. Lähmung des Vasomotorenzentrums und Lungenentzündung
Karl Kirn
Häftlingsnr.: 1656
Name: Karl Kirn
Geb.-Datum/-ort: 14.09.07
Lagerdaten:
25.11.41 eingeliefert nach KZ Natzweiler
20.11.42 in Block 5 (HKB)
21.12.42 verstorben
Wilhelm Müssgen
Häftlingsnr.:1281
Häftlingskategorie: BV
Name: Wilhelm Müssgen
Geb.-Datum/-ort: 6.1.1901 in Köln
Lagerdaten:
20.3.1935 eingeliefert nach Zuchthaus Rheinbach
24.3.1936 eingeliefert nach Zuchthaus Werl
23.9.1942 eingeliefert nach KZ Natzweiler (23 Vorstrafen)
4.11.1942 Block 5 wegen langer Krankheit
12.11.1942 eingegliedert in Lost-Versuch
31.12.1942 Tod nach Lost-Versuch wegen Lungenödem bei Bronchopneumonie
Diese Personen erlitten durch die Lost-Versuche unsägliche Qualen und Spätfolgen:
Georg Schatz
Häftlingsnr.: 0232
Häftlingskategorie: BV
Name: Georg Schatz
Geb.-Datum/-ort: 14.04.11 in Mühlheim/M
Lagerdaten:
23.5.41 von KZ Sachsenhausen nach KZ Natzweiler
20.11.42 in Block 5 (HKB)
9.3.43 von KZ Natzweiler nach KZ Buchenwald
27.4.44 von KZ Buchenwald nach KZ Mittelbau-Dora
15.1.44 von KZ Mittelbau-Dora nach KZ Mauthausen
Schicksal ungewiss
Bernhard Bauer
Häftlingsnr.: 0501
Häftlingskategorie: BV
Name: Bernhard Bauer
Geb.-Datum/-ort: 21.10.05 in Tonndorf
Lagerdaten:
3.9.40 eingeliefert nach KZ Dachau
12.07.41 von KZ Dachau nach KZ Buchenwald
26.10.41 von KZ Buchenwald nach KZ Natzweiler
20.11.42 in Block 5 (HKB)
9.3.43 von KZ Natzweiler nach KZ Buchenwald
Bauer überlebte den Krieg
Karl Ries
Häftlingsnr.: 1287
Häftlingskategorie: PSV
Name: Karl Ries
Geb.-Datum/-ort: 08.04.15 in Friedberg
Lagerdaten:
21.9.42 eingeliefert nach KZ Natzweiler
20.11.42 in Block 5 (HKB)
10.2.43 Entlassung aus HKB
2.3.43 von KZ Natzweiler nach KZ Dachau
5.3.43 von KZ Dachau nach KZ s’Hertogenbosch
Schicksal ungewiss
Hubert Schmidt
Häftlingsnr.: 1344
Häftlingskategorie: 1344 BV
Name: Hubert Schmidt
Geb.-Datum/-ort: 25.03.11 in Riegelsberg
Lagerdaten:
5.10.42 eingeliefert nach KZ Natzweiler
20.11.42 in Block 5 (HKB)
10.2.43 Entlassung aus HKB
2.3.43 von KZ Natzweiler nach KZ Dachau
27.8.43 Flucht
Schicksal ungewiss
Josef Tuscher
Häftlingsnr.: 1384
Name: Josef Tuscher
Geb.-Datum/-ort: 29.07.13 in Villach
Lagerdaten:
7.10.42 eingeliefert nach KZ Natzweiler
20.11.42 in Block 5 (HKB)
3.3.43 erneute Aufnahme wg. Spätfolgen der Lost-Versuche
4.6.44 über KZ Buchenwald entlassen zu Dirlewanger
Schicksal ungewiss
Franz Kramer
Häftlingsnr.: 1413
Name: Franz Kramer
Geb.-Datum/-ort: 02.02.12 in Haßloch Krs. Neustadt/Weinstr.
Lagerdaten:
14.10.42 eingeliefert nach KZ Natzweiler nach 8 Vorstrafen
20.11.42 in Block 5 (HKB)
7.03.44 über KZ Buchenwald entlassen zur Waffen-SS-Einheit Dirlewanger
Schicksal ungewiss
Wilhelm Denne
Häftlingsnr.: 1626
Name: Wilhelm Denne
Geb.-Datum/-ort: 05.08.09 in Spiesen
Lagerdaten:
25.11.42 eingeliefert nach KZ Natzweiler nach 8 Vorstrafen
20.11.42 in Block 5 (HKB)
14.9.43 von KZ Natzweiler nach KZ Buchenwald
27.3.44 verstorben
Wilhelm Blum
Häftlingsnr.:: 1216
Häftlingskategorie: BV
Name: Wilhelm Blum
Geb.-Datum/-ort: 15.11.1903 in Wildersheim
Lagerdaten:
Strafhaft in Papenburg
9.9.1942 eingeliefert nach KZ Natzweiler
10.2.1943 Entlassung aus HKB
2.3.1943 von KZ Natzweiler nach KZ Dachau
26.8.1944 von KZ Dachau
nach KZ Flossenbürg
Schicksal ungewiss
Friedrich Port
Häftlingsnr.:1348
Häftlingskategorie: BV
Name: Friedrich Port
Geb.-Datum/-ort: 17.4.1914 in Kalbach
Lagerdaten:
27.7.1942 Gestapohaft in Frankfurt
5.10.1943 eingeliefert nach KZ Natzweiler
12.11.1943 Block 5 (Hirt)
10.2.1942 Entlassung aus Block 5
2.3.1943 von KZ Natzweiler nach KZ Dachau
9.6.1943 von KZ Dachau nach KZ Sachsenhausen
10.6.1943 Entlassung, mutmaßlich zur Waffen-SS-Einheit Dirlewanger
Schicksal ungewiss
Willy Swienty
Häftlingsnr.: 0854
Häftlingskategorie: BV
Name: Willy Swienty
Geb.-Datum/-ort: 9.3.1915 in Berlin
Lagerdaten:
12.3.1942 eingeliefert nach KZ Natzweiler
12.11.1942 Block 5 (Hirt)
9.3.1943 aus KZ Natzweiler nach KZ Ravensbrück
Schicksal ungewiss
Alfred Zinhobl
Häftlingsnr.: 0537
Häftlingskategorie: BV
Name: Alfred Zinhobl
Geb.-Datum/-ort: 27.5.1907 Schwertberg
Lagerdaten:
10.3.1941 von KZ Papenburg nach KZ Dachau
26.10.1942 von KZ Dachau nach KZ Natzweiler
12.11.1942 Block 5 (Hirt)
26.10.1943 von KZ Natzweiler nach KZ Sachsenhausen
von dort zur Waffen-SS-Einheit Dirlewanger
Schicksal ungewiss